Diethard Sohn. Quitten-Porträts Eröffnungsrede, Birgit Wiesenhütter Kunsthistorikerin (M.A.)

Foto: Günter Bergmann
Foto: Günter Bergmann

Kulturkreis Leinfelden-Echterdingen e. V.
Galerie Altes Rathaus Musberg
Diethard Sohn. Quitten-Porträts
Eröffnungsrede, 13.09.2025

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr Sie hier in der Galerie Altes Rathaus Musberg in die künstlerische Arbeit von Diethard Sohn einführen und über seine Quitten-Porträts sprechen zu dürfen. Viele von Ihnen werden den Künstler und seine Arbeit bereits kennen und daher wissen, dass diese Quitten nur einen Teil seines vielseitigen Werks ausmachen, dass es sich bei ihm um einen Künstler handelt, der sich nicht festlegen oder in eine einzige Schublade stecken lässt.


Das kann man sehr schön an seinem künstlerischen Werdegang, seiner künstlerischen Entwicklung, wie er sie selbst reflektiert und in eine chronologische Übersicht gebracht hat, nachvollziehen. Diese Übersicht hängt in Form eines Plakats im Eingangsflur: Bilder als runde Ausschnitte größerer Werke erscheinen wie Blubberblasen verrinnender Zeit, die aufpoppen und nach oben sprudeln.

Als Kind von 7 Jahren fand Diethard Sohn den Zugang in die Welt der Kunst als eine Galerie in die unmittelbare Nachbarschaft seines Elternhauses zog. Ende der 60er Jahre war es vor allem die damalige ‚Weltsprache Abstraktion‘, die die Gemälde dort dominierte und ihn faszinierte. Und doch ist es das Figürliche, das ihn dann zunächst zeichnerisch als Jugendlicher beschäftigte und von dem er sich nie ganz gelöst hat. Man kann an der Übersicht, die uns der Künstler anbietet, sehen, dass er sich als Jugendlicher in vielen Stilrichtungen, Gattungen und Techniken ausprobiert und regelrecht ausgelotet hat, was Malerei kann und an Möglichkeiten anbietet. An der Malerei der sogenannten Alten Meister ist es die Genauigkeit und Detailfülle, aber auch die Direktheit der Darstellung, die ihn faszinierten und nicht mehr losgelassen haben. Parallel dazu entwickelte er in den 90er Jahren einen Stil, den er als Comic-Kubismus bezeichnet und eine andere Seite seiner Künstlerpersönlichkeit repräsentiert. Comic-artig vereinfacht erscheinen Gegenstände und Figuren in oft surrealen Kombinationen. Neben den dynamischen grafischen Aspekten sind es auch hier genuin malerische Problemstellungen, die den Künstler interessieren: die Beziehung von Raum und Fläche und die Farbklänge, die Stimmung und Ausdruck des Bildes bestimmen. 

Eine Konstante, die sich durch sein gesamtes Werk zieht, ist das Porträt. Hier kommen möglicherweise zwei Aspekte zusammen, die die Künstlerpersönlichkeit Diethard Sohns wesentlich bestimmen: sein Einfühlungsvermögen in sein Gegenüber und seine Präzision. Zufall ist nicht sein Ding. Die Fähigkeit zu tiefer Konzentration und Reflexion sind seinen Porträts eingeschrieben.

Und damit kommen wir nun auch endlich zur Quitte: Vielleicht hat sich mancher und manche bereits gefragt, warum die Ausstellung Quitten-Porträts heißt. Das Bild einer Quitte würde man ja normalerweise als Stillleben bezeichnen. Diethard Sohn nimmt die Quitte als ein Gegenüber, als Individuum mit eigenen Formen und eigenem Ausdruck. „Jede Quitte hat ihre eigene Performance, ihren eigenen Ausdruck“ sagt der Künstler, „die eine kommt zum Beispiel kokett daher, die andere eher schüchtern“. Diethard Sohn kann sich darauf einlassen, sein Gegenüber spüren. Die von ihm gemalten Quitten sind nicht nur Stillleben im klassischen Sinne, sondern Porträts. Sie sind das Ergebnis einer intensiven Beobachtung, einer konzentrierten Forschung am Objekt und einer malerischen Verdichtung –  fast schon eine Form von Kontemplation. Jede Spur, jede Macke wird gelesen – wie das Gesicht eines Menschen. Dabei ist es gerade der Verfall, der für den Künstler interessante Strukturen hervorbringt.

Dass man sich bei diesen Quitten-Porträts an die Malerei der Renaissance oder des Barock erinnert fühlt, kommt nicht von ungefähr. Die Präzision und Detailverliebtheit der Renaissance, vielleicht auch derern Begeisterung über die damals noch neuen Möglichkeiten, die Dinge so naturnah darzustellen, kommen auch in Sohns Arbeiten zum Tragen. (Im Überblick seiner künstlerischen Entwicklung kann man auch eine schöne Dürer-Aquarell-Phase entdecken.) Tatsächlich hat sich Diethard Sohn auch intensiv mit der damaligen Maltechnik beschäftigt, sie geradezu studiert, sodass er vermutlich auch problemlos als Restaurator arbeiten könnte, wenn er wollte. Der Aufbau der Quitten-Porträts orientiert sich an dieser altmeisterlichen Technik – beginnend mit der Herstellung der Malplatte mit Kreide und Hasenleim bis hin zum Aufbau der Malerei mit einer Imprimitur nach der Grundierung, dann der Untermalung in grau und der danach folgenden Malschichten in Eitempera (bei wenigen Gemälden in Acryl), die das eigentliche Motiv entstehen lassen. Und hier wird es jetzt sehr interessant, denn der Künstler hält sich nicht sklavisch an die korrekte Abfolge des Aufbaus, er experimentiert mit diesen Schichten und lässt sie im fertigen Bild sichtbar. Was beispielsweise an manchen Bildrändern auf den ersten Blick als Holzuntergrund durchscheint, ist in Wirklichkeit die mit breitem Pinsel aufgetragene orange-braune Imprimitur. So entsteht im Bild die Illusion von Holz und im weiteren Verlauf des Malprozesses auch die Illusion einer Quitte: ein Trompe l‘oeil – ein „Augentäuscher“, eine illusionistische Malerei, die vortäuscht etwas anderes zu sein als Farbe. Sohn geht aber noch weiter, denn was er außerdem vortäuschen kann, ist, dass das Gemälde nicht auf eine Maltafel, sondern auf Pergament gemalt und damit also doch wieder Malerei ist. Ist das die Illusion der Illusion?

Wenn man genau hinschaut, bemerkt man, dass Diethard Sohn sehr frei mit diesem Illusionsprinzip umgeht. Es gibt in den Arbeiten bestimmte Details, die besonders intensiv illusionistisch herausgearbeitet sind – andere weniger.

Quitte M-02-4040-A-2021 (Detail) Acryl, Kreidegrund, Holz 40 x 40 cm Diethard Sohn 2021
Quitte M-02-4040-A-2021 (Detail) Acryl, Kreidegrund, Holz 40 x 40 cm Diethard Sohn 2021
Quitte M-02-4040-A-2021 Acryl, Kreidegrund, Holz 40 x 40 cm Diethard Sohn 2021
Quitte M-02-4040-A-2021 Acryl,Kreidegrund, Holz 40 x 40 cm Diethard Sohn 2021

Der Künstler arbeitet nicht sklavisch an der Kontur der Quitte, ahmt nicht alles nach. Die Malerei hat ihr Eigenleben, ist ihre eigene Realität.In dieser Serie geht es nicht um Abbildung, es geht um Wahrnehmung und um Malerei. Elegant verbindet Sohn das Widersprüchliche: Material (also Farbe) und Illusion (die so tut als sei sie nicht Farbe) stellt er changierend nebeneinander. Damit ist hier nicht nur eine Quitte dargestellt, sondern das Malen selbst. In einigen Bildern bleibt die graue Untermalung die oberste Farbschicht und zeigt sich so als Grisaille – eine Spielart der Malerei, die gleichzeitig so tut, als sei sie aus Stein, also ein Werk der Bildhauerei. Auch hier gilt: Was Sie sehen, ist keine Frucht aus Stein – es ist ein Bild, egal, was es vorgibt, zu sein.

Quitte-MUS-02-4040-ET-2025
Quitte-MUS-02-4040-ET-2025

Malerei ist nicht Reproduktion – sie ist Schöpfung. Paul Cézanne sagte einmal „Nach der Natur malen heißt nicht den Gegenstand kopieren, es bedeutet seine Empfindungen zu realisieren“. Auch Diethard Sohn realisiert seine Empfindungen – in anderer Form natürlich als Cézanne, doch gibt es da durchaus Parallelen im Ansatz. Man denke nur an das sehr bekannte Zitat Cézannes: „Mit einem Apfel will ich Paris in Erstaunen versetzen.“ Hier haben wir nun keine Äpfel, sondern Quitten, aber es ist klar, dass es nicht originär wichtig ist, um welches Obst es sich handelt. Es gibt in Sohns Werk übrigens auch das Bild einer Birne von 2008. Mit den Quitten begann er 2014. Selbst wenn der Bezug zur Renaissance-Kunst deutlich ist – in der Bedeutungsebene dieser Zeit verweist die Kernfrucht auf Jesus als den neuen Adam, der durch seinen Tod die Erlösung von der Erbsünde bringt. Dies spielt für Sohn keine Rolle. Viel eher könnte man allerdings die Bedeutungsebene der Barockkunst heranziehen, in der sich die Gattung des Stilllebens überhaupt erst manifestiert. Passend zum Barock ist das große Thema der Stillleben die Vergänglichkeit. Sehr schön ist das Thema der Vergänglichkeit sowohl im Barock als auch bei Diethard Sohn in Form einer Fliege verbildlicht, aber noch deutlicher natürlich im Prozess des Verfalls selbst. „Der Verwesungsprozess schafft malerisch Atmosphäre“ sagt der Maler. Die unglaublichen Strukturen, Spuren und Anhaltspunkte, deren Ästhetik, Form  und Farbe interessieren ihn. Über die Farbe werden Stimmung und Gefühle transportiert, Lebendigkeit und Vergänglichkeit sind dicht nebeneinander. Sohns Quitten-Porträts atmen eine meditative Ruhe. Sehen – Wahrnehmen – Fühlen ist der Dreiklang, der ihnen eingeschrieben ist. Der Prozess des Malens selbst wird zum Bildgegenstand.

 Im vorderen kleinen Raum hat der Künstler Werkzeug und Material, das er zur Herstellung nutzt, ausgestellt, und vielleicht kann man ihn während der Ausstellungslaufzeit dort auch einmal beim Malen beobachten. Ebenfalls in diesem Raum ist eine Videoinstallation seiner Partnerin Irene Müller zu sehen, mit der er als Müller & Sohn eine Künstlerkooperation pflegt. Landschaft, Natur, Veränderung durch menschliches Eingreifen ist ihr Thema. In der Arbeit mit dem Titel „Erscheinung. Baum vor dem Atelier, ein Jahr: Sep 2024 –  Sep 2025“ ist das Entstehen und Vergehen der Quitten während eines Jahres auf 3 Minuten zusammengeschnitten. So hat die Quitte hier doch noch einmal eine andere Bedeutung.

Erwähnen möchte ich noch die grau schattierte Quitte im letzten Raum. Sie ist eine Hommage an Ben Willikens, der vor Diethard Sohn hier in der Galerie die letzte Ausstellung hatte.

Hommage an Ben Willikens

Zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Malern kann man durchaus eine Verbindung herstellen, die vielleicht in der Präzision ihres Schaffens liegen mag. Diese Hommage sehe ich aber auch als Wertschätzung des Ausstellungsortes und des Kulturkreises Leinfelden-Echterdingen, der die Geschicke in dieser Galerie lenkt. Und tatsächlich bin ich auch der Ansicht, dass hier viel Überlegung in allem steckt und es kein Zufall ist, dass wir hier im Spätsommer (oder Frühherbst?) an einem so schönen Tag eine Ausstellung mit Quitten-Porträts eröffnen. Ich kann sie fast riechen.

Birgit Wiesenhütter